Die Bahai - Intolerant unter dem Deckmantel der Modernität?

Zum Gespräch: Eine neue Religion für eine neue Welt - Wer sind und was wollen die Bahai?


Insbesondere in Deutschland wurde das Bild der Bahai viele Jahre lang geprägt durch das Anfang der 80er Jahre erschienene Buch des Bahai-Aussteigers Franceso Ficicchia, Der Bahá’ismus – Weltreligion der Zukunft? Geschichte, Lehre und Organisation in kritischer Anfrage, Stuttgart 1981.

Ficicchia hat seine Grundthesen wie folgt zusammengefasst:

Die Bahá’í – oder der Weg zur globalen Vereinheitlichung
„Die Bahá’í-Religion verkündet die Einheit Gottes, die Einheit der Religionen und die Einheit des Menschengeschlechts in einer weltumspannenden Theokratie (Gottesherrschaft). Sie anerkennt die früheren Religionen (Judentum, Christentum und Islam) als göttlich in ihrem Ursprung, lehrt aber, dass Gott sich in Bahá’u’lláh als dem neuen Propheten (Erscheinung Gottes) für das heutige Zeitalter offenbarte. Alle früheren Religionen haben demnach ihre frühere Daseinsberechtigung eingebüßt, denn im gegenwärtigen Tausendjahrzyklus kann nur das Bahá’ítum die allein wahre Religion Gottes sein. [...]

Die Bahá’í erstreben die Durchsetzung ihres Glaubens als alleinige Universalreligion in einem zu schaffenden theokratisch verfassten Welteinheitsstaat. Ihr religiöses Gesetz, das weltweite Geltung beansprucht, ist enthalten im Kitáb-i-Aqdas, dem »Heiligsten Buch«, das seit 2000 auch in deutscher Übersetzung vorliegt.

Die Bahá’í verfügen über eine straffe Führungsstruktur. Der Organisation oder »Verwaltungsordnung« ist jeder Gläubige zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Wer sich ihr widersetzt, wird seiner »administrativen Rechte« entzogen oder aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.

Nach außen zeigt sich die Bahá’í-Religion sehr modern, aufgeschlossen und tolerant. Betont wird u.a. die Gleichheit der Geschlechter, doch kann eine Frau nicht in das »Universale Haus der Gerechtigkeit« gewählt werden. Auch im Ehe-, Scheidungs- und Erbrecht ist sie dem Mann untergeordnet.

Das Strafrecht der Bahá’í sieht für gewisse Vergehen die Todesstrafe vor. Dem rückfälligen Dieb ist ein bleibendes Brandmal auf die Stirn anzubringen. Diese und zahlreiche andere Bestimmungen stehen in deutlichem Widerspruch zur propagierten Modernität des Bahá’ismus, der den Anspruch erhebt, die zeitgemäße und allein gültige Botschaft Gottes im gegenwärtigen Äon zu sein. […]

In der westlichen Welt betätigen sich die Bahá’í in zahlreichen interreligiösen Programmen. Diese dienen aber weniger der Verständigung unter den Religionen denn der Eigenwerbung, indem die Bahá’í von der Überzeugung getragen sind, dass alle alten Systeme ohnehin versagt haben und nur ihr Glaube die Welt retten kann. Aus diesem Grunde ist den Bahá’í auch jede politische Tätigkeit untersagt und sind sämtliche Aktivitäten der Gemeinschaft schwerpunktmäßig auf die Stärkung und den Ausbau der »Verwaltungsordnung« und auf die interne organisatorische Geschlossenheit fokussiert. Das anvisierte Ziel der totalen Weltherrschaft und die Errichtung einer globalen Theokratie wird aus taktischen Gründen aber kaschiert und nicht offen vorgetragen.

Die Geschichte der Bahá’í ist gekennzeichnet durch (teilweise auch blutig ausgetragene) innere Zerwürfnisse, sich wiederholende Nachfolgestreitigkeiten, gegensätzliche Führungsansprüche und Abspaltungen. […] Die rigorose Kontrolle der Gläubigen und die freimütig gehandhabte Exkommunikationspraxis verhindern […], dass innergemeinschaftlich auch kritische Stimmen zu Worte kommen. […]

Die Ziele der Bahá’í stehen […] in einem unversöhnlichen Gegensatz zu den Prinzipien einer säkularen, demokratischen und offenen Gesellschaft. So erweist sich das Einheitsparadigma der Bahá’í bei genauer Betrachtung nicht als Fortschritt, sondern als Rückfall in längst überwunden geglaubte Absolutismen und religiöse Intoleranz, die dem freiheitlichen und ökumenischen Geist der westlich-abendländischen Zivilisation diametral entgegenstehen“ (hier).

Kritisch mit Ficicchias Thesen setzen sich auseinander: Udo Schaefer/Nicola Towfigh/Ulrich Gollmer, Desinformation als Methode – Die Bahá’ismus-Monographie des F. Ficicchia, Hildesheim 1995.

Zu Ihrem Buch schreiben die Autoren:
„Die religionswissenschaftliche Forschung hat die jüngste der prophetischen Religionen, das Bahá'ítum, bislang vernachlässigt. Da schien die 1981 erschienene Bahá'ismus-Monographie des F. Ficicchia eine Lücke zu schließen. Als kaum einholbares, auf lange Zeit wegweisendes 'Standardwerk' für die nächsten Jahrzehnte hat die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen dieses von ihr herausgegebene Werk angepriesen. Doch was als Aufklärung gedacht war, ist zur Karikatur geraten: Nahezu alles darin ist verzeichnet, entstellt, bis ins Groteske verzerrt. Die Autoren haben Ficicchias Thesen analysiert, aufgearbeitet und in ihrer Haltlosigkeit entlarvt. Dabei bot sich auch Gelegenheit, Neuland zu betreten und Sachfragen aus Historie, Theologie und Recht des Bahá'ítums näher darzustellen, die noch weitgehend unerörtert waren“ (hier).

Mehr zum Streit um Ficicchias Thesen auch hier (Christian Cannuyer) und hier (J.A. Mc Lean)