Ergebnisse des Religionsmonitors 2013

Zum Gespräch: Wie weiter mit den Religionen?


Kirchlichkeit und Religiosität
Eine entscheidende Trennlinie verläuft zwischen West- und Ostdeutschland. Während die alten Bundesländer durch eine Kultur der konfessionell-religiösen Anbindung gekennzeichnet sind, hat sich in den neuen Bundesländern eine weitgehend säkulare Kultur durchgesetzt. Der Trend des Bedeutungsrückgangs des Religiösen ist aber auch im Westen deutlich sichtbar. Auch hier hat die Religion für die meisten im alltäglichen Leben eine nachgeordnete Bedeutung. Eine relativ hohe religiöse Vitalität lässt sich innerhalb der muslimischen Bevölkerung feststellen.

Ursachen für Säkularisierungsprozesse
Neben der politischen Unterdrückung der Kirchen in der DDR spielen Prozesse der Modernisierung eine zentrale Rolle. Urbanisierung, Mobilisierung und die Umwandlung der Industriegesellschaft in eine Dienstleistungsgesellschaft führten zur Abschmelzung religiöser Milieus. Der Ausbau des Rechtsstaates, des sozialen Sicherungs- und Versicherungssystems, des Erziehungswesens sowie des medizinischen Versorgungssystems ließ den Bedarf an religiösen Angeboten zurückgehen.
Auch kulturelle Veränderungsprozesse wie die Rationalisierung des Weltbildes, die Pluralisierung von Weltdeutungsangeboten und die Ausbreitung einer Konsum- und Erlebniskultur haben den Gültigkeitsanspruch religiöser Welterklärungen relativiert. Zudem wachsen immer mehr Menschen ohne jeglichen Bezug zur Religion auf.

Moralische Überzeugungen
Die nachgeordnete Bedeutung der Religion geht einher mit einer weit verbreiteten Liberalität in moralischen Fragen, etwa in der Frage der Abtreibung oder der Rechte von Homosexuellen. Hier lassen sich mittlerweile weniger Spannungslinien zwischen der christlichen und der konfessionslosen Bevölkerung erkennen als vielmehr innerkirchliche Differenzen (zwischen offizieller katholischer Kirche und Laien) sowie solche zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der muslimischen Minderheit.

Einstellung zum Staat
Moderne staatliche Prinzipien wie die Trennung von Religion und Politik sowie das demokratische Grundgefüge erfreuen sich bei allen Bevölkerungsgruppen einer hohen Akzeptanz.

Wertevermittlung
Die Vermittlung von Werten findet heute überwiegend durch die Sozialisationsinstanzen Familie, Schule und Freundeskreis statt. Religiöse Gemeinschaften spielen nur eine untergeordnete Rolle. Darüber hinaus lässt sich ein Trend weg von Werten wie Traditionsbewusstsein und Sicherheitsorientierung hin zu erlebnis- und genussbezogenen Lebensvorstellungen erkennen.
Der Zusammenhang mit den Veränderungen auf dem religiösen Sektor ist dabei offensichtlich: Es sind vor allem die traditionsbewussten und auf Sicherheit bedachten Bevölkerungsgruppen, die gleichzeitig im traditionellen Sinne religiös sind. Der Wandel von „materialistischen“ hin zu „postmaterialistischen“ Werten führt jedoch nicht zwangsläufig zur „Ego-Gesellschaft“. Der Wert „Hilfsbereitschaft“ steht nach wie vor hoch im Kurs.

Einstellung zu religiöser Vielfalt
Gegenüber der wachsenden religiösen Vielfalt nehmen die Menschen in Ost und West mehrheitlich eine Haltung der Offenheit ein. Sie sehen die religiöse Pluralisierung sowohl als kulturelle Bereicherung an als auch als eine Ursache für Konflikte.

Islam als Bedrohung
Der Islam wird von vielen Deutschen als etwas Fremdes, Andersartiges und Bedrohliches empfunden. Das Bedrohungsgefühl führt allerdings nicht zu einer Intensivierung der christlichen Praxis. Christliche Identität und Glaubenspraxis scheinen bereits so weit verblasst zu sein, dass sie vor allem in einer Wertschätzung der kulturellen Bedeutung des Christentums zum Ausdruck kommen.

Religionsmix?
Der Anteil derer, die ihre religiöse Überzeugung aus unterschiedlichen Religionstraditionen zusammenstellen („Synkretismus“), ist in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Es bleibt allerdings eine Minderheit.
In Westdeutschland sind die meisten nach wie vor in distanzierter Form mit dem Christentum verbunden. Angesichts der zunehmenden religiösen Vielfalt befürwortet die Mehrheit eine Trennung von Religion und Politik. Die Beeinflussung der Regierung durch religiöse Repräsentanten wird abgelehnt.

Religion und gesellschaftlicher Zusammenhalt
Religiosität und religiöse Zugehörigkeit sind von grundlegender Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sowohl die Bereitschaft zum sozialen Engagement als auch das zwischenmenschliche Vertrauen sind unter religiös gebundenen Personen höher als im Bevölkerungsdurchschnitt. Insbesondere das Christentum leistet einen bedeutenden Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft (zum „Sozialkapital“).

Weniger Christentum = weniger gesellschaftlicher Zusammenhalt?
Heißt das, dass sich der soziale Zusammenhalt abschwächt, wenn die Verankerung des Christentums in der Gesellschaft zurückgeht? Das muss nicht sein. Auch unabhängig von religiösen Bindungen bleiben Werte wie Solidarität und Hilfsbereitschaft für viele Menschen wichtig.

(nach: D. Pollack/O. Müller, Religionsmonitor – verstehen, was verbindet. Religiosität und Zusammenhalt in Deutschland, Gütersloh, Bertelsmann Stiftung 2013, 56–58; die gesamte Studie hier).