Mitschrift: Imame in Deutschland (Teil 2)

Zum Gespräch: Imame in Deutschland: Wer sind sie und wofür stehen sie?


Was tun Imame für Integration?

Reinbold
Herr Zeitun, ein wichtiges Thema in der allgemeinen Debatte ist immer wieder die Frage der Integration. Man hat die Vorstellung, die Imame könnten Schlüsselfiguren sein für die Integration. Ist „Integration“ für Sie ein Thema? Haben Sie vielleicht sogar eine besondere Botschaft bzw. eine Vorstellung davon, wie das sein könnte: muslimisches Leben in Deutschland in zehn oder zwanzig Jahren?

Zeitun
Die Botschaft hat angefangen, seit wir das Haus erworben haben, in dem sich die Moschee befindet, im Jahr 1995. Von Anfang an war die Moschee zweisprachig. Zu uns kommen Menschen verschiedener Herkunft. An sie können wir nur mit der deutschen Sprache herankommen. Die einzige Methode für alle Muslime, für alle Imame, für alle Moscheen ist: Sie müssen zweisprachig sein. Die eine Sprache ist die Religionssprache, Arabisch, und die Verständigungssprache ist die deutsche Sprache. Anders geht es nicht.

Die Imame sind die Brückenbauer. Die Imame sind diejenigen, die Integration machen können. Ohne Imame kann man sehr schlecht etwas erreichen. Die Ibrahim Al-Kalil-Moschee ist eine bescheidene Moschee. Zu uns kommen jeden Freitag über zweihundert Männer und Frauen, ohne Einladung, ganz von alleine. Ich habe die Möglichkeit, zu predigen, was ich will. Ich kann viel bewegen. Deswegen haben die Imame eine Sonderstellung. Ich hoffe, dass die deutsche Gesellschaft das auch akzeptiert. Mit den Imamen können sie viel mehr erreichen als ohne Imame.

Manche Leute denken, Imame sind fanatisch oder fundamentalistisch. Nein!, es ist umgekehrt. Der Imam ist einfach eine Persönlichkeit, auch wenn er die deutsche Sprache nicht beherrscht. Man muss zu ihm kommen. Deswegen gab es den Vorschlag, dass jeder Imam mindestens ein Jahr Deutsch lernen sollte, bevor er seine Aufgabe, sein Amt in Deutschland übernimmt. Er sollte verschiedene Moscheen besuchen, von einer Moschee zur nächsten gehen. Er sollte Lehre praktizieren, die deutsche Gesellschaft kennen lernen. Dann kann er Vieles erreichen. Mit den Imamen können wir alles, was wir heute versäumen, erreichen, da bin ich mir sicher.

Meine private Erfahrung ist, dass wir anfangs nur mit zehn Leuten gebetet haben. Heute sieht man bei uns am Freitag nach dem Freitagsgebet Leute aus Polen, aus Albanien, aus der Türkei, aus Indien, aus Pakistan, aus dem Kosovo, aus Arabien und so weiter. Circa achtzig Länder sind vertreten, in einer kleinen Moschee. Ohne die deutsche Sprache hätten wir all diese Leute nicht bekommen können. Sogar viele türkische Jugendliche kommen zu uns. Sie nutzen die Moschee und bezahlen auch ihren Beitrag. Die Imame sind die Brückenbauer, die Imame sind für die Integration am besten, dafür müssen wir alle gemeinsam etwas tun, die Universität, die Wissenschaft, die Landesregierung, die Bundesregierung, alle. Ohne Brückenbauer geht es nicht.

Reinbold
Herr Ceylan, der Imam muss Deutsch können, hat Herr Zeitun gesagt. Die Realität ist zurzeit noch eine andere. Oder ist das zweisprachige Modell schon üblich geworden?

Ceylan
Eigentlich nicht. Eines der Ergebnisse der Studie, die Sie zitiert haben, ist, dass die meisten Imame gesagt haben, dass sie mit ihren Deutschkenntnissen nicht zufrieden sind. Moscheegemeinden wie die in Osnabrück gehören zu einer Minderheit. Herkunft und Muttersprache sind wichtig, man soll die Muttersprache pflegen. Nur wenn ein Imam die theologische Referenz sein soll, wenn er auf Augenhöhe in Dialog treten soll, auch mit Nichtmuslimen, dann muss man von ihm erwarten, dass er auch die deutsche Sprache kennt.

Von den einjährigen Schulungen und Vorbereitungen, die angesprochen wurden, halte ich ehrlich gesagt nicht so viel. Es gibt seit 2002 Sprachkurse des Goetheinstitutes in der Türkei. Ich selbst bin dann sozusagen die Fortsetzung dieser Kurse, denn ich unterrichte die angehenden Imame in der Türkei in deutscher Landeskunde. Aber es ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Es reicht nicht aus, um wirklich gut Deutsch zu sprechen, um wirklich den Alltag zu verfolgen, eine deutsche Zeitung zu lesen und so weiter. Ich glaube, das ist nicht die große Lösung, die wir brauchen.

Die öffentliche Debatte um die Zweisprachigkeit ist jetzt auch in den Gemeinden angekommen. Zum Teil tun mir die Imame leid, wenn sie z.B. die Aufgabe haben, ihre Predigt auf Deutsch zusammenzufassen, obwohl sie nicht gut Deutsch sprechen. Da kommt es manchmal zu ganz komischen Szenen. Es handelt sich um eine Übergangsphase. Es ist migrationsgeschichtlich zu erklären. Die erste Generation hat eine große Rolle gespielt. Aber mittlerweile gibt es eine jüngere Generation. Ein Generationswechsel in der Moscheegemeinde bringt eine ganz andere Erwartung an die Imame mit sich. Ich glaube, wir werden in zehn Jahren, wenn sie das Programm dann immer noch machen, einen Imam haben, der hier sozialisiert ist, der hier das Abitur gemacht hat, hier studiert hat und hier zu Ihnen sprechen wird. Ich glaube, das ist eine win-win-Situation für beide, für die Moscheen und für die Gesellschaft als ganze, und deshalb unterstützen wir das in Osnabrück. 
 

Die Schieflage der deutschen Islamdebatte

Reinbold
Ich möchte noch einmal zurückkommen auf das Zitat, mit dem ich begonnen habe. Sie sprachen von der "Mehrheit der friedliebenden, moderaten Imame". Nun wissen Sie: die Stimmung im Lande ist schlecht, was Islam anbetrifft, alle Meinungsumfragen zeigen das. Die Deutschen denken zu mehr als zwei Dritteln schlecht über Muslime. Ist das Grundgesetz nach Ihrer Erfahrung selbstverständliche Voraussetzung in den Moscheen?

Ceylan
Lassen Sie mich zunächst einmal etwas sagen zur Islamdebatte insgesamt. Die Islamdebatte bewegt sich in virtuellen Welten, nicht auf empirischen Grundlagen. Und das ist ein Problem. Ich habe vor einiger Zeit den Vergleich gezogen zum antikatholischen Diskurs in Europa vor etwa einhundert Jahren. Wenn man den antimuslimischen Diskurs heute damit vergleicht, kann man viele Parallelen feststellen. Muslimen heute wie Katholiken damals wurde Rückständigkeit vorgeworfen, mangelnde Modernität, ihre Loyalität wurde in Frage gestellt – schließlich haben Sie einen Papst!, und so weiter. Im Grunde genommen wird dieser Diskurs jetzt weitergeführt im Kontext der Muslime. Es gibt zahlreiche Studien zur Demokratieorientierung der Muslime, zur Frage des Fundamentalismus, all das wird kaum wahrgenommen. Die ganzen Debatten werden in virtuellen Welten geführt. Daher bin ich auch sehr froh, dass die Studie im Auftrag der deutschen Islamkonferenz, die Sie eingangs erwähnten, jetzt erschienen ist.

Nehmen Sie z.B. die Kategorie des „Hasspredigers“, die immer wieder verwendet wird. Sie kennen das Assoziationsprinzip in der Sozialpsychologie. Die Werbung arbeitet gern damit: Wenn Sie eine Zahnbürste nehmen, und George Clooney benutzt diese auch, dann haben Sie eine gewisse Assoziation. Der Islam wird in den Medien in der Regel mit negativen Merkmalen assoziiert: Es ist die Rückständigkeit, es sind globale Konflikte, die mit der Realität in Deutschland nichts zu tun haben. Natürlich gibt es auch Probleme, aber wir müssen unterscheiden, was ein Randphänomen ist – Zwangsheirat, Ehrenmorde, Salafisten (drei- bis fünftausend schätzt man, eine seriöse Studie darüber wird demnächst erscheinen) – und was für die große Masse der Muslime typisch ist, die friedliebend und gut integriert sind und die als Vertreter des Islam auch demokratiekompatibel sind.

Ich glaube, wir müssen uns auf die wirklichen Bedürfnisse der Muslime konzentrieren: Seelsorge, Gefängnisse, Sterbebegleitung. Dafür brauchen wir gut qualifizierte Theologen, die mitsprechen können, auch zu Fragen der Bioethik zum Beispiel. Was sind die wirklichen Probleme der Muslime, was bringt uns wirklich weiter? Das müssen wir fragen.

Zu den wichtigen Fragen gehört auch das Phänomen des Salafismus. Wir müssen darüber diskutieren. Es gab in Deutschland acht fehlgeschlagene Anschlagversuche, dass dürfen wir nicht vergessen. Allerdings sollten wir in der Debatte darauf achten, dass wir das Gleichgewicht halten, wie ich bereits gesagt habe.
 

Kontakt der Imame untereinander

Reinbold
Herr Zeitun, Sie haben in Osnabrück ein „Imamfrühstück“ ins Leben gerufen. Wenn ich das recht verstanden habe, ist das so eine Art regionale Dienstbesprechung der Imame. Ist die Frage, die in Deutschland so intensiv diskutiert wird: „Wie halten es die Muslime mit dem Grundgesetz?" – ist das für Sie ein Thema? Oder ist es für das Imamfrühstück völlig klar, dass das Grundgesetz die Grundlage ist, auf der alle stehen?

Zeitun
Zuerst möchte ich zurückkommen auf das Thema der innerislamischen Verständigung. Ich bitte darum, mir das nicht übel zu nehmen. Vor ungefähr zwanzig Jahren war es unmöglich, dass die Moscheen sich untereinander einigen. Sie waren fast verfeindet. Ich bitte darum, mir das nicht übel zu nehmen. Wir müssen das kritisieren, was bei uns gewesen ist.

Jede Moschee hat alles allein gemacht. Manchmal, wenn es einen Anlass gab, sagte die eine Moschee das und die andere das Gegenteil. In Osnabrück bzw. in der Region Osnabrück haben wir daher überlegt, dass sich die Moscheen zusammentun sollten. Sie sollten sich einig sein und gemeinsam über die wichtigen Themen reden, über die Zukunft unserer Nachkommen. Meine Moschee und die DITIB-Moschee sind Mitbegründer des Imame-Frühstücks. Wir treffen uns alle zwei Wochen, immer an einem anderen Ort. Entweder sind wir in einer Moschee oder bei einem Imam. Nach dem Frühstück fragen wir: Was gibt‘s Neues? Und dann reden wir über alle aktuellen Themen von A bis Z, über Umweltfragen, über Probleme aller Art. Das ist wunderbar. Wir reden auch über Projekte. Letzte Woche haben wir über Umweltprojekte gesprochen, über das Pflanzen von Bäumen.

Wir haben auch schon einmal eine Kehraktion gemacht. Vorher war es unmöglich, dass eine Moschee sich an einer Kehraktion beteiligt in der Stadt. Wir sind mit dem Besen rausgegangen auf die Straße. Das ist eine schöne Sache. Vorher gab es das nicht, und jetzt diskutieren wir miteinander. Was können wir tun? Was können wir für die Allgemeinheit tun?

Das Fremdgefühl von damals ist nicht mehr da. Damals haben wir geplant, dass wir vier oder fünf Jahre hier sind, studieren, Geld sammeln und zurückgehen. Nun sind wir schon zwanzig, dreißig, vierzig Jahre hier. Wir sind nicht mehr die „Migranten“. Wir sind Inländer. Und daher blieb uns nichts anderes übrig, als dass wir miteinander arbeiten. Nicht nur wir Muslime unter uns allein, sondern auch mit den anderen. Wir haben zum Beispiel bei uns eine „Moschee-Dom-Führung“. Mit dem Bistum Osnabrück haben wir vor zwei Jahren damit angefangen. Fast jede Woche haben wir ein- bis zweimal eine Führung in der Moschee. Und die Krankenschwestern kommen zweimal im Jahr zu uns und lernen, wie sie sich gegenüber muslimischen Patienten verhalten müssen. Die Zusammenarbeit ist eine ganz tolle Sache, das Fremdgefühl ist weg. Diese Leute, die zu uns kommen, sie gehen allein in die Küche, bedienen sich allein. Das hat uns eine riesige Freude gemacht. Integration – das muss von den Moscheen, von den Kirchen, von den Synagogen ausgehen. Alle müssen sich beteiligen, nicht nur wir.
 

Wie umgehen mit Korantexten, die Gewalt zu legitimieren scheinen?

Reinbold
Das sind die praktischen Fragen, von denen Herr Ceylan gesprochen hat, Dialog kennen lernen, Seelsorge, und so weiter. Ich will Sie nicht ärgern, möchte meine Frage aber noch einmal stellen: Im Koran stehen nun einmal Sätze, die, wenn man sie liest, wie sie dastehen, mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar sind. Wie halten Sie es mit diesen berühmt-berüchtigten Worten: Man soll die Frauen unter bestimmten Umständen schlagen. Man soll die Ehebrecher unter bestimmten Umständen auspeitschen. Was macht das Imamfrühstück oder was macht Imam Zeitun mit solchen Stellen?

Zeitun
Das ist eine ganz, ganz gefährliche Frage.

Reinbold
In der Tat, aber eine wichtige Frage. Es gibt ja Leute, die sagen: Das steht so im Koran, das ist Wort Gottes und Punkt, da kann ich armer Muslim gar nichts dran ändern. Wie halten Sie’s damit?

Zeitun
Ich frage einmal: Hat jemand im Saal seine Frau geschlagen? Keiner. Hat eine Frau hier ihren Mann geschlagen? Auch nicht. Das sind circa einhundertvierzig Leute. Also, ich kenne kaum jemanden, der seine Frau geschlagen hat vom Islam her. Was steht im Islam? Es stehen drei Stufen da [Sure 4,34]: Ermahnen, im Bett fernhalten und schlagen. Warum also fangen Sie von hinten an und nicht von vorne? Man muss von vorne anfangen, ermahnen. Von der ersten Ermahnung an hat es immer geklappt.

Reinbold
Ich verstehe, was Sie meinen. Verstehen Sie auch, warum viele Leute in diesem Land Sorge haben bei solchen Sätzen? Die Aufforderung zum Schlagen steht ja da. Ist es möglich, zu sagen: Ich lege diese Stelle anders aus? Oder geht das eigentlich nicht?

Zeitun
Doch, man kann es anders auslegen. Der Prophet Muhammad hat nie geschlagen. Er ist unser Vorbild. Da unser Prophet nie so etwas gemacht hat in seinem Leben, muss man ihn nachahmen. Solche Sachen passieren nie wegen des Islams. Die passieren wegen eines Streits, wegen Arroganz, wegen Macht, wegen Stärke, wegen Problemen, wegen Geld. Im Prinzip passieren sie nicht wegen des Islams. Die Gelehrten, die die Stelle erklärt haben, sprachen von einer Ermahnung, aber nicht vom Schlagen.

Reinbold
Ist es so: Es steht da als ernste Warnung an die Ehepaare. Man macht es aber nicht, weil der Prophet es nie gemacht hat und weil man es ohnehin nicht tun würde, weil man als Muslim ein guter Mensch ist. So etwa?

Zeitun
Mein Vorbild ist der Prophet. Es steht im Hadith eine Aussage des Propheten, die sagt: Es ist paradox, wenn ein Mann nachts mit einer Frau schläft und sie am Tag schlägt. Das ist unvorstellbar. Es gibt viele Leute, die schlagen ständig, nicht nur unter den Muslimen. Ich kenne selbst genügend Beispiele in Deutschland, wo es Streitereien von Mann und Frau gibt. Aber der Mann im Islam: Wenn überhaupt, dann hat er die einzige Ausnahme in einem Fall, wo die Frau nicht den Gesetzen Gottes folgt.

Reinbold
Herr Ceylan, in Osnabrück sind zurzeit viele Professuren ausgeschrieben. Dazu wird auch eine Professur für Koranauslegung gehören. Worauf achten Sie bei den Besetzungsverfahren in besonderer Weise? Wie werden diese schwierigen Fragen des rechten Umgangs mit dem Koran in Zukunft an der deutschen Universität im Studium der Islamischen Theologie diskutiert werden?

Ceylan
Vielleicht noch einen Satz zu dem, was Herr Zeitun gesagt hat. Wir müssen zunächst einmal festhalten: Alle Schriften, die Tora, die Evangelien, der Koran, sind entstanden in androzentrischen, männerzentrierten Gesellschaften. Man muss die Hintergründe kennen. Zweitens gibt es ähnliche Stellen in der Bibel, etwa das Frauenbild des Paulus.

Der Islam hat zwei Quellen, den Koran und die Hadithe. Die Hadithe legen auch den Koran aus. Es gibt diese berühmte Textstelle, die immer wieder zitiert wird, um den Muslimen noch einmal zu verdeutlichen, dass die Gewaltverherrlichung gerade auf dieser Passage beruht [Sure 4, siehe oben]. Das ist so falsch. Es gibt schon ganz alte Textquellen und Interpretationen dazu, dass man die Frau nicht schlagen darf. Es gibt in Deutschland übrigens auch ganz unterschiedliche Übersetzungen dieses Verses.

Man muss schauen, wie ein Text ausgelegt wird. Es gibt im Islam schon sehr früh die sogenannte Wissenschaft von den Offenbarungsanlässen. Da geht es darum zu schauen, wann ein Vers entstanden ist, in welchem historischen Kontext. Es wird gefragt: Warum ist das offenbart worden? Es gibt also durchaus Ansätze, gewisse Verse historisch einzuordnen. Sowohl die muslimischen Extremisten als auch die Islamgegner reißen den Text gern aus dem Kontext. Sie haben viel gemeinsam. Sie reißen die Texte aus dem Kontext, obwohl in der islamischen Geschichte eine Auslegungstradition besteht, wo man die Texte im Kontext auslegt, nach bestimmten Kriterien.
 

Islamische Theologie an der deutschen Universität

Zu den ausgeschriebenen Professuren: Das Problem in Deutschland besteht darin, gut qualifizierte Theologen zu bekommen. Dabei geht es nicht nur um deren Orientierung. In der Türkei gibt es nach der Grundschule die religiöse Mittelschule und danach das religiöse Gymnasium. Das heißt, dort werden schon in der Schule die Grundlagen vermittelt, Arabischkenntnisse, Islamkenntnisse. Danach kommt das Studium, dann die Promotion, danach die zweite große Schrift, hier würde man sagen: die Habilitationsschrift, und so weiter. Man erhält eine langjährige Ausbildung in der ganzen Komplexität der Theologie. Deutschsprachige gut ausgebildete islamische Theologen zu finden, das ist unsere Herausforderung. Ich kann Ihnen versichern, dass wir jemanden einstellen werden, der genau unseren Vorstellungen entsprechen wird. Aber es wird immer eine Herausforderung bleiben.

Es gibt schon in der islamischen traditionellen Theologie Ansätze dafür, gewisse Verse historisch zu verstehen. Ich kann an dieser Stelle eine Koranexegese empfehlen, auch den Zuschauern. Es ist der Koran von Muhammad Asad, er ist vor drei Jahren erschienen [Düsseldorf 2009]. Nach Asad, alias Leopold Weiß, wurde vor kurzem in Wien ein Platz benannt, weil er sieben Jahre in Österreich gelebt hat und im Jahr 1980 den Koran ins Englische übersetzt hat. Das Besondere an seiner Koranübersetzung sind die Fußnoten, in denen man nachlesen kann, was der Hintergrund der Verse ist.

Allein den Text des Korans zu lesen, kann kontraproduktiv sein. Niemand wird durch die Koranlektüre zum Muslim, niemand wird dadurch den Islam verstehen. Die meisten Muslime, die kaum Erfahrung in dieser Hinsicht haben, hätten selbst Probleme damit. Lesen Sie einmal das Buch von Paul Schwarzenau, Korankunde für Christen, das ich sehr empfehlen kann [Hamburg 4. Aufl. 2011]. Er erzählt von seinen Erfahrungen mit dem Koran. Wie der Koran ihm am Anfang ziemlich wirr erschien und wie er dann langsam klarer wird. Der Koran möchte, dass man sich mit ihm auseinandersetzt.

Reinbold
Herr Zeitun, die in Deutschland ausgebildeten Imame werden von den Professoren in Osnabrück und an den drei anderen Zentren so etwas lernen wie eine historische Auslegung des Korans. Was sagen Sie dazu? Würden Sie so einen Imam einstellen bei sich in der Moschee?

Zeitun
Früher haben wir davon geträumt, dass es so etwas hier gibt. Das ist für uns alle eine große Freude.

Reinbold
… dass in Deutschland jetzt Imame ordentlich ausgebildet werden.

Zeitun
Genau, aber am Anfang ist es nicht so einfach. Sie haben nicht so viele Professoren, die die Studenten unterrichten. Es dauert bestimmt zehn Jahre, bis an der Universität eine Normalität herrscht. Alles befindet sich am Anfang, und nicht alles läuft optimal. Dass man die Leute später einstellt, das ist schwierig, solange es keine Regeln gibt für Steuern, für Gelder.

Reinbold
Das sind die praktischen Fragen. Aber wenn wir auf das Inhaltliche sehen: Sind die Moscheegemeinden nach ihrer Einschätzung bereit, solche Leute aufzunehmen, die an einer deutschen Universität nach den deutschen wissenschaftlichen Standards studiert haben? Sind das die Imame, die Sie wollen?

Zeitun
Als Notlösung. Man weiß nicht, wie sie sind.

Reinbold
Wie müssten sie denn sein?

Zeitun
Sie brauchen Praxis. Ohne Praxis …

Reinbold
Dann brauchen Sie so eine Art zweiten Ausbildungsgang, wie das bei uns evangelischen Theologen der Fall ist: Man macht erst die Universität, geht danach in die Gemeinde und legt danach ein zweites Examen ab. 

Zeitun
Genau. Man kann nicht im Voraus sagen, was optimal ist.

Reinbold
Was ist denn für die Gemeinde das Entscheidende? Was muss der Imam besonders gut können?

Zeitun
Entscheidend ist, dass er menschlich gesehen sozial ist, dass er mit den Menschen umgehen kann.

Ceylan
Das bieten wir auch an.

Zeitun
Er sollte einen breiten Konsens haben. Sie haben meistens nur viel Theorie. Das kann man nicht gebrauchen.

Ceylan
Es wird verschiedene Stufen geben und verschiedene Ziele der Universitätsausbildung. Die Frage wird sein: Will ein Theologe als Imam arbeiten? Oder will er sich wissenschaftlich weiterqualifizieren? Das sind zwei verschiedene Dinge.

An der Universität wollen wir auch Nachwuchs qualifizieren. Der Wissenschaftsrat hat ja empfohlen, Postdocstellen auszuschreiben [d.i. Stellen zur Weiterqualifizierung für Promovierte], damit wir in fünf bis zehn Jahren genügend Nachwuchswissenschaftler in Deutschland haben. Wir brauchen gut ausgebildete Wissenschaftler, Theologen, die promoviert und habilitiert sind, die über solche Themen, wie wir sie eben diskutiert haben, qualifiziert reden können.

In der Moschee ist vor allem die Orthopraxie wichtig [d.i. die rechte Praxis des Imams]. Darüber hinaus die Koranrezitation. Die Moscheegemeinden haben gewisse Erwartungen, die wir verstehen, die wir nachvollziehen können. Diejenigen, die in die Praxis gehen wollen, müssen wissen, was dort erwartet, was dort vorausgesetzt wird. Es sollte so etwas wie ein Praktikum geben. Das heißt aber nicht, dass ein Imam, der in die Praxis geht, nicht qualifiziert sein muss in Fragen wie Islamische Philosophie, historische Koranexegese und so weiter.

Zur Zeit sind noch viele Fragen offen. Die Rolle der Religionsgemeinschaft ist für die Muslime neu. In der katholischen Kirche zum Beispiel gibt es das Prinzip „Lehre und Lebenswandel“. Wie wird das bei den Muslimen sein? Auch die Frage der Bezahlung der Imame ist noch offen. Man kann die DITIB kritisieren, aber die Imame werden dort sehr gut bezahlt. Meistens ist es allerdings nur ein Nebenverdienst, den ein Imam hat. Und so stellt sich für einen jungen Abiturienten, der die Möglichkeit hat, Medizin, Maschinenbau oder Theologie zu studieren, natürlich die Frage: Wie viel werde ich denn verdienen? Minister Schünemann hat einmal vorgeschlagen, dass die Imame ja vielleicht halbtags an Schulen unterrichten und halbtags in den Moscheen arbeiten könnten. Das ist ein smarter Vorschlag, aber wie gesagt: Es sind noch viele Fragen offen.

Reinbold
Schlussfrage: Integration ist keine Einbahnstraße, sagt man oft. Was wäre aus Ihrer Sicht das Wichtigste, das die deutsche Mehrheitsgesellschaft dazu tun kann, dass dieser Prozess sich in einem positiven Sinne entwickelt? Herr Zeitun, was wünschen Sie sich von der sogenannten Mehrheitsgesellschaft in den nächsten Jahren?

Zeitun
Beide Seiten müssen sich öffnen. Ohne Öffnung geht es nicht. Wir haben viele Leute gefragt, die uns besuchen: Wie viele Male wart ihr in einer Moschee? Die Mehrheit sagt: Zum ersten Mal. Das bedeutet: Das Fremdgefühl geht weiter. Die Muslime sind aber keine Gäste. Wenn man eine Moschee sieht, soll man so darüber denken wie bei einer Kirche oder einer Synagoge. Man kann einfach hereinkommen. Unsere Moschee steht immer offen, den ganzen Tag. Jeder kann zu uns kommen, wie er will, ohne sich anzumelden. So können sich die Besucher ein Bild machen können von den Muslimen. Viele Muslime sind schüchtern, sie reden nicht viel, weil sie die Sprache nicht beherrschen, sie haben dieses Fremdgefühl. Aber wenn man ihr Inneres kennt, sind es ganz friedliche, sehr liebe Leute.

Und umgekehrt gilt: Die Muslime müssen auch die Kirchen und die Synagogen besuchen.

Reinbold
Ich fasse zusammen: Alle zusammen lernt deutsch! Muslime geht in die Kirchen! Christen geht in die Moschee!

Ceylan
Den Begriff „Integration“ können die meisten Migranten nicht mehr hören. Es geht um Partizipation, es geht um Anerkennung. In allen Einwanderungsländern – und Deutschland ist zwar kein klassisches, aber es ist ein Einwanderungsland – gibt es Konflikte. Das ist normal. Auch ich empfehle: Lernt Muslime kennen!

Auch in der Salafismusdebatte der letzten Wochen habe ich das öfter gesagt, aber keines der Medien hat es aufgegriffen: Es gibt den Tag der offenen Moschee am 3. Oktober. Wenn man sich über Muslime informieren möchte, kann man eine Moschee besuchen, man kann sich selbst ein Bild machen.

Ich glaube, Begegnung und Kontakt, vor allem die lokalen Kontakte sind wichtig. Meistens sehen wir sie gar nicht. Wir sehen nur die Diskussion zwischen der Elite, zwischen den Politikern. Bei den lokalen Kontakten gibt es viele positive Ansätze. Es gibt z.B. die christlich-islamische Gesellschaft in Köln, die seit Jahrzehnten gute Arbeit macht. Ich bin da nicht pessimistisch. Es wird immer Konflikte geben. Es gibt aber auch gute Fortschritte.

(Redaktion: Wolfgang Reinbold).