Raus aus dem „Migrantenstadl“

Zum Gespräch: Neue Heimat Deutschland. Was tun die Religionen für die „Integration“?


von Eren Güvercin (dradio.de)

Es ist schon zu einem Ritual geworden. Immer wenn die üblichen Verdächtigen fremdenfeindlichen Ressentiments Futter geben, beklagen sich die Betroffenen über den Rassismus in Deutschland. Und noch lange, nachdem die Luft aus einer Debatte längst entwichen ist, wird diese Klage reflexartig wiederholt, wann immer der Stichwortgeber seine umstrittene Aussage wiederholt - bei einer Lesung oder in einem Interview.

Thilo Sarrazin beispielsweise eignet sich stets, eine Welle der Erregung auszulösen. Und er liefert ja auch gern markige Sprüche so, als seien sie von seinen Kritikern bestellt. Das ist ein Ritual, das lästig wirkt, müde macht und gefährlich werden kann.

Denn die Ewig-Empörten beachten nicht, dass sie eine unsägliche Debatte kritisieren und zu beenden wünschen, die sie zugleich lange am Köcheln halten, selbst wenn sie schon längst vergessen worden wäre. Sie machen aus ihrem Anliegen ein Spektakel, warnen so häufig vor einem alles niederwalzenden Rassismus, dass niemand die Warnung mehr hören, geschweige denn ernst nehmen mag.

Und sie ist ernst zu nehmen. Das hat sich vor über einem Jahr gezeigt, als bekannt wurde, wie eine Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ zehn Morde begangen hat, ohne dass sie als Täter ermittelt und frühzeitig gestoppt werden konnte. Das Entsetzen - auch über die Sicherheitsbehörden - ist bis heute ehrlich, ungeteilt und notwendig.

Doch man kann nicht nur über einen Ausschnitt von Gewalt in der Gesellschaft reden - auch nicht, weil man sich selbst als Opfer begreift, das sich von Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung, von Islamkritik und Integrationsskepsis bedrängt fühlt. Viele, die aus einer ausländischen Familie stammen, die einen sogenannten Migrations-hintergrund besitzen, flüchten in eine Art innere Migration. Dort wird der Blick eng und einseitig.

Über Gewalt und Rassismus zu klagen, wäre glaubhafter, wenn das brutale und kriminelle Verhalten von türkisch- und arabischstämmigen Jungmännern ebenso thematisiert werden würde. Erst Anfang Dezember gab es in Duisburg gezielte Übergriffe auf junge Roma rumänischer Nationalität. Die Angreifer fühlten sich belästigt, weil die Gruppe der Roma unter den Einwohner ihres Stadtquartiers immer größer geworden sei.

Wir haben uns angewöhnt, von gewaltbereiten Salafisten, Islamisten, Dschihadisten zu reden. Man fragt sich, warum fromme Muslime diese Begriffswahl hinnehmen und sich nicht dagegen verwahren sowohl, dass in ihrem Namen Hass gepredigt und Gewalttaten geplant werden, als auch, dass eine Gesellschaft darauf hereinfällt, wenn sich gewöhnliche Kriminalität einen religiösen Tarnmantel umlegt.

Da wird der Rassismus der anderen beklagt, aber der eigene geleugnet, weil der Migrantismus, das Lebensgefühl einer selbst gewählten inneren Migration sich davon nährt, die Mehrheitsgesellschaft zu verachten.

So versäumt man die selbstkritische Frage, was das eigene Kollektiv vielleicht über die Jahre falsch gemacht haben mag, warum Thilo Sarrazin oder Heinz Buschkowsky zu ihren Ansichten gekommen sind und vor allem warum sie auf so große Resonanz stoßen - übrigens auch unter Deutschen und Ausländern mit Migrationshintergrund.

Es ist an der Zeit zu erkennen, dass viele Probleme - ob pädagogische oder soziale - für alteingesessene wie zugezogene Familien dieselben sind. Folglich können sie auch gemeinsam gelöst werden. Das „migrantische“ Ressentiment nervt dabei genauso wie das „deutsche“.

Es ist an der Zeit, dass Migranten ihre Opferrolle ablegen, sich nicht länger als Objekt von Studien oder Behörden begreifen. Es ist an der Zeit, dass sie sich selbst als Bürger sehen, die mit anderen diese unsere Gesellschaft gestalten - durchaus beeinflusst durch eine ganz eigene, individuelle Lebenserfahrung. Das wäre viel wertvoller als der Migrantenstadl, der immer wieder von einigen „Berufsmigranten“ inszeniert wird.

Neue Heimat Deutschland. Was tun die Religionen für die „Integration“?

> zum Gespräch